zaterdag, juni 10, 2006

Das Konzept heißt Gegenrevolution door Wolfgang SAUR in Junge Freiheit, nr. 22- 2006.

Karlheinz Weißmann prognostiziert mit dem Abwirtschaften der 68er die Stunde einer "Neuen Rechten"

Mit Spannung greift man zur aktuellen Publikation der Edition Antaios: Der Dialog des Verlegers mit Karlheinz Weißmann bietet ein Weltanschauungsinterview weiten Zuschnitts. Er ermöglicht die Zusammenschau von Ideen des Göttinger Historikers, seiner politischen und menschlichen Basis. Dessen breite Forschungsinteressen lassen Wertungen sonst zurücktreten: Sie konturieren, aber bestimmen die Gegenstände nicht. Auch Themen und Referenten der Institutstagungen und des Theorieorgans Sezession zeigen ein gestreutes Panorama jenseits einfacher Formeln. Weißmann moderiert und akzentuiert dort ohne dogmatischen Bezugsrahmen.

Zum anderen freilich durchschaut der rigorose Intellektuelle die positivistische Illusion und weiß, daß es keine bloßen Fakten und "voraussetzungslosen" Erkenntnisse gibt. Wissen hängt ab von Prinzip und Praxis - auch mit politischen Implikationen wird man rechnen. Um so mehr, wenn man sich konzeptionell zum "eingreifenden Denken" bekennt. So profiliert das vorliegende Gespräch einmal anders: Historische, politische, theologische Inhalte bilden die Folie, vor der Weißmann als rechter Ideengeber Themen wie Konservativismus, Weltlage, Zeitdebatten oder Religion pointiert. Der kleine Band schafft so eine griffige Dis-kussionsgrundlage für Freund und Feind. Er ergänzt vorliegende Schriften von Institut und Verlag und bietet einen Schlüssel für Weißmanns reiches Werk: zu lesen als Einführung oder energische Zwischenbilanz.

Weißmann ist eine rechtsintellektuelle Führungsrolle zugewachsen. Hier setzt das Gespräch mit einer Klärung des Begriffs einer "Neuen Rechten" ein. Ältere Voraussetzungen entfallen. Die Rechte ist heute weder "nostalgisch" noch "klassengebunden", doch schillernd genug mit ihrem Spektrum divergierender Antworten. Das macht Ortsbestimmung nötig. Weshalb Kubitschek Weißmann nun einen Proustschen Fragebogen "für Rechte" vorlegt: Sage mir deine "Parole", den "Hauptfeind", deine "Köpfe", "Referenzepochen", "Idole" und "Filme". Ein fesselnder Abschnitt! Weißmanns Votum ist beziehungsreich, verweist typologisch jedoch auf einen primär politischen Konservativismus, der sich abhebt von der kulturkritischen, ästhetischen oder spirituellen Spielart. Obschon auch diese Momente vorhanden sind.

Doch fokussiert Weißmann weniger industriegesellschaftliche Modernisierungsprobleme, alteuropäische Bil-dungswelten oder eine "spirituelle Erneuerung". Seine rechtskonservative Position hat einen starken Anker in dem betonten Realismus, als dessen Leitfigur Bismarck erscheint. Darüber hinaus weist ein spezifischer Pathosaspekt auf die "dunklen Schriftsteller des Bürgertums", von Niccolò Machiavelli bis Carl Schmitt und zu Oswald Spenglers heroischem Gestus.

Die Realität ist furchtbar. Sie wird nicht besser, wenn Linke sie mit Utopien, Liberale mit Illusionen, die Mächtigen aber trickreich mit globalen Verheißungen zumöbeln. Der Verdruß darüber, ein "kalter Blick", hat zwei Seiten. Negativ funktioniert er ideologiekritisch, positiv setzt er den "Konstruktivismen" der Gegenwart eine Ontologie des "ewigen Menschen" entgegen. Der ist für Weißmann weniger eine metaphysische als anthropologische Größe. Als "ewig" gelten ihm der Mensch als "riskiertes Wesen", sein Ordnungsbezug und seine Geschichtlichkeit. Innere Unsicherheit und äußere Gefährdung machen Verhaltensmodellierung nötig, provozieren "Kultur" statt "Natur". Das begründet Institutionen und Staatlichkeit. Daneben führt humane Orientierung zur Integration der Zeit als Tradition. Hier verdichtet sich das Gespräch zum großen Wort: "Dieses Kontinuum gehört unbedingt zur menschlichen Existenz. Wenn man es zerstört, nimmt man den Menschen die Möglichkeit, (...) ihre Identität zu finden."

Fünf Kapitel reflektieren nun zahlreiche Facetten des "Rechts-Seins", beleuchten Weißmanns persönlichen Hintergrund, analysieren die internationale Lage und wenden sich "letzten Fragen" zu. Eckpunkte des Horizonts bilden Antimaterialismus und Realismus. Der markiert - um "diskursfähig" zu sein - einen betont rationalen, empirischen Blickwinkel. Bestätigt wird dies durch die Frequenz rechter Ideen im aktuellen Kontext. Das Beispiel Frankreich gibt Gelegenheit, Nähe und Abstand deutscher und französischer Rechter zu bestimmen, woran sich prinzipielle Überlegungen zur Differenz von Rechts und Links fügen. Das Geschichtsverständnis ist hierbei zentral: Zyklenmodell gegen linearen Fortschritt.

Binnenpluralistisch war die "neue demokratische Rechte" um Rainer Zitelmann zwischen 1990 bis 1995 eine interessante Periode. Versuchte sie doch, nationalen Imperativ mit der aktuellen Entwicklung zu versöhnen - was 1995 definitiv mit dem "Appell gegen das Vergessen" scheiterte. Die "Bürgerlichen" bremsten den Meinungswandel aus. CDU/CSU seien "die geistfeindlichsten Parteien überhaupt", ihr Pragmatismus habe nur eine "große weltanschauliche Leere" übriggelassen.

Vollends mit den 68ern geht der Autor ins Gericht, hier stehe der "objektive Feind", auf dessen Konto die gegenwärtige Misere gehe. Die bestätigt jetzt akkurat rechte Motive: innere Sicherheit, Zuwanderung, Demographie, Krisis von Bildungssystem und Sozialstaat. Um so wichtiger, den Zeitgeist beherzt zu torpedieren. Das meint das Konzept "Gegenrevolution", nämlich daß "man sich die Mittel der Subversion aneignen und vor allem die Methoden der Herrschenden entlarven muß. Die Kritik der Verhältnisse wäre das erste, was zu leisten ist, dann kommt alles andere: Gegenaufklärung, Gegenöffentlichkeit, Gegenrevolution."

Weißmanns Realismus beansprucht, die "Wirklichkeit so zu sehen, wie sie ist". Doch überrascht das Gespräch mit erfreulich utopischen Weiterungen. Die Mitteleuropaidee taucht auf als mögliche EU-Perspektive. Dazu wurzelt der mythische Aspekt unserer Identität im Geist des "Geheimen Deutschland". Daß sich der Autor mit dem "Ende der Nation" nie abfinden mochte, wird man gern nachvollziehen. Gegen die Tabula rasa eines Landes ohne Vergangenheit und Zukunft steht beredt dieser kleine Band.

Wolfgang Saur

Bron: Junge Freiheit